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150. Geburtstag von Edouard Michelin

Der Visionär prägte den Reifen­her­steller mit seinen hohen Ansprüchen an Qual­ität, Fortschritt und Respekt    

Mit Edouard Miche­lin wird vor 150 Jahren, am 23. Juni 1859, eine der wichtig­sten Per­sön­lichkeit­en der Reifenin­dus­trie geboren. Auf eine Kar­riere als Grün­der und Patron eines weltweit agieren­den Unternehmens deutete zunächst nichts hin: Nach seinem Hochschu­la­b­schluss in Jura wid­met sich Edouard Miche­lin der Malerei und studiert an der Ecole des Beaux-Arts in Paris. 1889 bit­tet ihn sein älter­er Brud­er André um Unter­stützung bei der Sanierung des elter­lichen Betriebs in Cler­mont-Fer­rand.

Im Alter von 30 Jahren gibt Edouard sein Maler­ate­lier in Paris auf und übern­immt die Leitung des Her­stellers von land­wirtschaftlichen Geräten und Kautschukpro­duk­ten. Sein Brud­er André küm­mert sich um die kaufmän­nis­chen Geschicke.

Der Grund­stein für die Erfol­gssto­ry des in “Miche­lin et Cie” umbe­nan­nten Unternehmens ist die Begeg­nung mit einem Fahrrad­fahrer, dessen defek­ter Luftreifen aufwendig repari­ert wer­den muss. Die bei­den Brüder entwick­eln daraufhin den paten­tierten “demon­tier­baren Reifen” für Fahrräder. Schon früh erken­nt Edouard Miche­lin die Wer­be­wirk­samkeit von Wet­tkämpfen und nutzt diese, um sein neues Pro­dukt zu ver­mark­ten: Beim Radren­nen Paris-Brest-Paris 1891 demon­stri­ert Miche­lin mit einem Sieg von Charles Ter­ront die Über­legen­heit sein­er demon­tier­baren Reifen mit einem Vor­sprung von acht Stun­den. Im darauf­fol­gen­den Jahr verkauft Miche­lin bere­its mehr als 10.000 Fahrradreifen.

Edouard Miche­lin ist vom Fahrkom­fort des Luftreifens so überzeugt, dass er in den fol­gen­den Jahren Reifen entwick­elt, die auch den schw­eren Las­ten von Droschken und Auto­mo­bilen gewach­sen sind. Dank sein­er Kreativ­ität und dem Engage­ment von Miche­lin bei Wet­tkämpfen und Autoren­nen wächst Miche­lin et Cie zu einem schlagkräfti­gen Unternehmen her­an. 1906 stellen mehr als 4.000 Mitar­beit­er am Haupt­sitz in Cler­mont-Fer­rand neben Reifen auch Fel­gen und – auf­grund des Faibles von André Miche­lin für die Kar­tografie – umfan­gre­ich­es Karten­ma­te­r­i­al her.

Auch als Wer­be­fach­mann hat Edouard dank seines kün­st­lerischen Tal­ents Erfolg: Als er 1894 auf der Weltausstel­lung in Lyon einen Stapel unter­schiedlich großer Reifen sieht, sagt er zu seinem Brud­er André: “Wenn er Arme hätte, sähe er fast wie ein Men­sch aus.” Das Reifen­män­nchen “Biben­dum” ist geboren und wird bis zum heuti­gen Tag zum bekan­ntesten Marken­ze­ichen der Welt.

Der Wirtschaft­skapitän bee­in­flusst das Unternehmen nicht nur mit seinem Erfind­ungsre­ich­tum und sein­er Kreativ­ität. Sein hohes Qual­itäts­be­wusst­sein, sein erhe­blich­er Anspruch an sich und seine Mitar­beit­er sowie sein Organ­i­sa­tion­stal­ent prä­gen das Fam­i­lienun­ternehmen bis in die Gegen­wart.

Getrieben vom Ziel, “den besten Reifen zum besten Preis” anbi­eten zu kön­nen, entwick­elt Edouard Miche­lin Arbeitsmeth­o­d­en, die heute noch mod­ern sind. Schon 1906 inter­essiert er sich für die Ratio­nal­isierung durch Fließban­dar­beit, die der Amerikan­er Tay­lor erforscht. In der Fer­ti­gung beobachtet er akribisch jedes Detail: “Wir sind gegenüber Ford im Rück­stand”, erk­lärt Edouard Miche­lin gegenüber seinen Führungskräften, “aber wenn wir den Stan­dort des Arbeit­ers ändern, das Werkzeug und das Mate­r­i­al anders platzieren, kön­nten wir die im Werk zurück­gelegten Wege verkürzen.” Die Liefer­wege zum Kun­den reduziert er eben­falls, indem Miche­lin die Reifen dort fer­tigt, wo sie gebraucht wer­den: in der Nähe von Aut­o­fab­riken. Auch hier ist Edouard Miche­lin sein­er Zeit weit voraus: Noch heute fol­gen Auto­mo­bilzulief­er­er in Gewer­beparks den Auto­her­stellern an ihre Stan­dorte.

Die men­schliche Kom­po­nente
Als alleiniger Geschäfts­führer inter­essiert sich Edouard Miche­lin für jeden Mitar­beit­er, unab­hängig von Herkun­ft oder Hier­ar­chieebene. Er hält auch die Führungskräfte seines Unternehmens dazu an, sich die Kla­gen der Arbeit­er anzuhören und sie nicht der Willkür ihrer direk­ten Vorge­set­zten zu über­lassen. Ende der 1920er-Jahre zwingt die Weltwirtschaft­skrise das Unternehmen zu weit­eren Ratio­nal­isierun­gen. Edouard baut mit großer Entschlossen­heit über­flüs­sige Stellen des mit­tler­weile 15.000 Mitar­beit­er zäh­len­den Unternehmens ab. Für die nötige Trans­parenz sorgt er gerne mit ein­er anschaulichen Geschichte: “Im Garten des Palastes war ger­ade eine Bank frisch gestrichen wor­den – in Grün. Um zu ver­mei­den, dass sich der König darauf­set­zt und sein Aller­w­ertester einen grü­nen Anstrich bekommt, hat­te man einen Wach­posten neben der Park­bank aufgestellt. Die Farbe trock­nete, der Wach­posten blieb.”

1928 beruft der 69-jährige Edouard Miche­lin seinen Sohn Eti­enne in die Geschäfts­führung, leit­et aber weit­er­hin die Geschicke des Unternehmens. Viele Ideen des Fir­men­lenkers haben sich bis heute im glob­al agieren­den Miche­lin Konz­ern etabliert. Schon zur Jahrhun­der­twende will Edouard Miche­lin möglichst unab­hängig von anderen Unternehmen sein und lässt sämtliche Teile, Werkzeuge und Maschi­nen selb­st her­stellen. Um die Rohstof­fliefer­un­gen zu sich­ern, kauft Miche­lin schon 1899 eigene Kautschuk­plan­ta­gen in Brasilien. Noch heute baut Miche­lin seine Fer­ti­gungsan­la­gen selb­st und unter­hält eigene Kautschuk­plan­ta­gen. Seine Visio­nen bee­in­flussen auch außer­halb der Reifen- und Gum­mi-Indus­trie die Welt: In den 1930er-Jahren ger­at­en seine Schwiegersöhne, die Gebrüder Cailliès, mit ihrer Papier­fab­rik in Schwierigkeit­en, weil ein großer Auf­trag über Spezial­pa­pi­er für Lochkarten mit amerikanis­chen Rechen­maschi­nen­her­stellern platzt. Edouard Miche­lin drängt die Papier­fab­rikan­ten dazu, die Rechen­maschi­nen für ihre Lochkarten ein­fach selb­st zu bauen und in Europa zu verkaufen. Mith­il­fe der Patente des nor­wegis­chen Inge­nieurs Fredrik Bull grün­den die Brüder 1925 eine Fab­rik für Rechen­maschi­nen, die 1933 in “Com­pag­nie des Machines Bull” umbe­nan­nt wird. Der Infor­ma­tion­stech­nikkonz­ern “Bull” beschäftigt heute weltweit 7.800 Mitar­beit­er.

1934 steigt Miche­lin beim in Schwierigkeit­en ger­ate­nen Auto­mo­bil­her­steller Citroën als Haup­tan­teil­seign­er ein. Bis zu seinem Tod küm­mert sich Edouard Miche­lin auch um die Geschicke des Fahrzeugher­stellers, an dem Miche­lin bis zum Jahr 1975 beteiligt bleibt.

Als Edouard Miche­lin (23. Juni 1859 − 25. August 1940) stirbt, beschäftigt sein Unternehmen bere­its 25.000 Men­schen. Heute hat der Miche­lin Konz­ern in 69 Werken und über 170 Ver­trieb­sorgan­i­sa­tio­nen weltweit rund 121.000 Beschäftigte. Nach über einem Jahrhun­dert voller tech­nis­ch­er Inno­va­tio­nen – wie beispiel­sweise der erste Diag­o­nal­reifen (1925) oder der erste Radi­alp­neu (1946) – steigt das Fam­i­lienun­ternehmen 1990 mit der Über­nahme der Uniroy­al Goodrich Tire Com­pa­ny zu einem der welt­größten Reifen­her­steller auf. Heute liegt der Welt­mark­tan­teil des Unternehmens, das sich nach wie vor im Fam­i­lienbe­sitz befind­et, bei 17,2 Prozent.

eduard_michelin Mit Edouard Miche­lin wird vor 150 Jahren, am 23. Juni 1859, eine der wichtig­sten Per­sön­lichkeit­en der Reifenin­dus­trie geboren.
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