Kennen Sie die Continental? Nicht die Fluggesellschaft und auch nicht die Continentale-Versicherung, sondern den urdeutschen Reifenhersteller aus der Provinz-Großstadt Hannover? – Ach, Sie wissen, dass die mehr als Reifen herstellen? Das haben Sie gerade jetzt gehört, weil sich ein Mechanik-Unternehmen Zugriff auf die Conti-Elektronik verschafft hat, von der Sie bisher gar nichts wussten, oder?

Was im Rahmen der Kommunikation mit Investoren, Aktionären und Analysten zunächst gut gelang, nämlich die Continental AG als einen globalen Partner der Automobilindustrie darzustellen, der sich als zukunftssichere Anlage empfiehlt, das misslang beim Image des Unternehmens gründlich.

Das Bild von diesem Unternehmen in der Öffentlichkeit ist urdeutsch: Conti bietet gute Produkte zu einem gerade noch akzeptablen Preis und unterhält darüber hinaus noch ein Gemischtwarenangebot – von der Türdichtung bis zum Bremsbelag. So sieht’s von außen für alle aus, die nicht mit dem Autogeschäft befasst sind.

Doch dieses Bild ist ebenso unzutreffend gezeichnet wie unfair, denn Continental hat sich längst zu einem Motor des Fortschritts entwickelt. Man ist weltweit führend in allen Technologien, die man anbietet – von Reifen bis hin zu Hightech-Produkten der Automotive-Sparte.

Der Fall Conti mit seiner nicht stringenten Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ist interessant, stellt er doch ein Lehrstück für alle dar, die sich mit Kommunikation befassen. Zum Bild dieses Unternehmens, wie es von der Öffentlichkeit heute gesehen wird, trugen viele Aspekte bei. Einige ergaben sich aus der Geschichte, andere haben mit den handelnden Personen zu tun.

Beginnen wir mit dem Interessenkonflikt zwischen der Werbung oder Marketingkommunikation und der Produktkommunikation durch die Öffentlichkeits- und Pressearbeit des Unternehmens. Werbung der Continental – das ist europaweit Werbung für Reifen. Wer kennt sie nicht, die Rückfronten der Lastwagen auf der Autobahn, die Banden bei den Fußballspielen oder die Zeitungsanzeigen mit im Prinzip immer derselben Aussage: Continental ist Reifen und liebt Fußball.

Die Kampagne mag in Ländern sinnvoll sein, in denen man den Zusammenhang zwischen dem Unternehmensnamen und dem Reifen ständig unterstreichen muss, weil Conti dort noch nicht bekannt ist. Der Reifen muss sich schließlich in allen Ländern im Geschäft mit Endverbrauchern durchsetzen. Anders in Deutschland. Hier stört die ständige Verbindung zum Reifen die Kommunikation der anderen Produkte, die viel anspruchsvoller sind und inzwischen auch mehr Geld verdienen. Die Conti-Werbung verhindert, dass die Continental als Hightech-Unternehmen gesehen wird.

Es ist Fakt: Das Marketing für den Reifen im Ersatzgeschäft hat das Geld für die Werbung und beschlossen, sich damit auf den Fußball zu konzentrieren. Was immer auch die Öffentlichkeitsarbeit an Anstrengungen unternimmt, um die weit über Reifen hinausgehende Produktpalette zu kommunizieren – sie wird von den vielen Werbe-Euros des Marketings übertönt. Gegen diese Dominanz kommt man mit ein paar Messen, bei denen man sich auf den Kunden in der Automobilindustrie konzentriert, nicht an. Da muss sich der Öffentlichkeitsarbeiter viel einfallen lassen, um mit einer einheitlichen und starken Stimme durchzudringen – gegen die bunte Werbewelt, die der Reifen-Marketingchef ihm vorsetzt.

Hier zeigt sich ein Handicap der Conti-Öffentlichkeitsarbeit, das sich aus der Geschichte des Unternehmens ergibt. Die Continental wuchs zwar auch aus eigener Kraft, die wesentlichen Schritte nach vorn machte sie aber immer durch den Zukauf anderer Unternehmen. Das führte zunächst zu einem Nebeneinander von Unternehmens-, aber auch Kommunikationskulturen.

Wesentliche Schritte bei Conti waren Uniroyal auf der Reifenseite, der Einstieg in die Elektronik und neue Produktwelten durch den Erwerb des Bremsenzweigs von ITT Automotive (Teves), der DaimlerChrysler-Tochter Temic und letztlich von Siemens VDO. Mit der Schaeffler-Gruppe als Großaktionär kommt abermals eine neue Kultur ins Spiel. Vielleicht gelingt es jetzt, die Kakophonie zu überwinden und dafür zu sorgen, dass alle Kommunikatoren das Lied des bald größten Automobilzulieferers der Welt von einem identischen Notenblatt und zeitgleich absingen.

Was lief schief bei Conti? – Dem Vorstand muss man einen entscheidenden Fehler vorhalten. Er hatte die Rolle der Kommunikation nicht erkannt und zugelassen, dass jede Sparte und jedes zugekaufte Unternehmen vor sich hin kommunizierte. Jede einzelne Presseabteilung hatte ihre Chance, und jede nutze sie. Heraus kamen dabei oft unterschiedliche Formen der Ansprache oder grafischer Auftritte.

Das Headquarter in Hannover hat es bisher versäumt, als Zentrale für die komplette Kommunikation des Gesamtunternehmens zu handeln. Die Öffentlichkeitsarbeit benahm sich zwangsläufig, wie es sonst nur in Holdings von Mischkonzernen üblich ist, bei denen die Tochterfirmen freie Hand haben und nur die Bilanzpressekonferenz der Mutter von Bedeutung ist. Die fehlende Koordination der Unternehmenskommunikation führte letzten Endes auch dazu, dass die Öffentlichkeitsarbeiter in der Konzernzentrale die Kommunikation ihres Unternehmens über seine Produkte vernachlässigten. Und mehr noch: Der Bereich Öffentlichkeitsarbeit wurde ausgedünnt, Budgets wurden gestrichen, und die Verantwortung wurde teilweise an Marketingbereiche oder sogar in die Technik zurückdelegiert.

Investor Relations genoss oberste Priorität. Über lange Zeit mit Erfolg. Doch als jetzt Conti nach dem Schaeffler-Angebot von 70,12 Euro tönte, der Unternehmenswert sei viel höher, und mindestens 100 Euro forderte, glaubte das der Markt nicht mehr. Das Unternehmen hatte im Laufe der Jahre den Bezug zum Markt und zur Marke verloren. Fantasien und Informationen rund um Marke und Produkte sind es, die den Kurs auf die Dauer stützen.

Wer – wie die Continental AG – Unternehmen zu einer neuen, größeren Einheit zusammenführen will, wird das nicht schaffen, ohne von Anbeginn an alle Fäden der Kommunikation nach innen und außen in seiner Hand zusammenzuhalten. Es darf keine Aufteilung in externe und interne oder Unternehmens- und Produktkommunikation, in Standort- und Sparten-Pressearbeit geben. Wer integrieren will, hat dafür nur dieses eine Instrument. Er muss die Kommunikation als Ganzes sehen und führen, natürlich mit der Unterstützung der Experten aus den einzelnen Fachbereichen der Kommunikation.

Im Fall Continental gegen Schaeffler kämpfte sichtbar immer nur der zweite Mann der Öffentlichkeitsarbeit für sein Unternehmen. Das gewährleistete natürlich, dass nur eine Stimme zu hören war. Dennoch fiel auf, dass der Verantwortliche für Öffentlichkeits- und Pressearbeit nicht in Erscheinung trat. Möglicherweise eine kluge Entscheidung, nachdem der PR-Chef den wütenden Auftritt seines Vorstandsvorsitzenden nach Bekanntwerden der Übernahmeabsichten durch Schaeffler nicht hatte verhindern können.

Der Fall Continental zeigt exemplarisch, dass jeder Unternehmer nur dann dauerhaft Erfolg haben kann, wenn er das richtige Verhältnis zum Machtmittel Kommunikation und die richtigen Mitarbeiter dafür hat. PR-Puristen sind sich einig: Strategie kann nicht wirken, wenn sie niemand kennt; Glaubwürdigkeit entsteht nicht ohne sichtbare Beweise und Vertrauen nicht ohne Vertrauen. Nichts bewegt sich ohne Kommunikation, auch der Aktienkurs nicht – höchstens nach unten. Dafür liefern die Vorgänge um Continental ein Lehrstück. (ar/PS/HU)

(Entnommen aus der aktuellen Ausgabe des Branchen-Informationsdienstes PS-Automobilreport)

Von Hans-U. Wiersch