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Geplante EU-Vorgaben für Reifen würden Sicherheit im Straßenverkehr verringern

Mit diversen geplanten Verord­nungsvorhaben will die EU kün­ftig sowohl den CO2-Ausstoß als auch die Geräuschbe­las­tung durch den Straßen­verkehr ver­ringern. Dabei wird ein „Umwelt­la­bel“ ins Gespräch gebracht, dass bei Reifen auf beson­ders niedri­gen Roll­wider­stand hin­weisen soll.

Eben­falls geplant ist eine neue Vor­gabe zur Geräusch­ab­strahlung von Reifen. Was sich vorder­gründig gut anhört, würde durch die beste­hen­den Zielkon­flik­te in der Reife­nen­twick­lung jedoch deut­liche Nachteile bei der Verkehrssicher­heit mit sich brin­gen. Bei Fach­leuten beson­ders in der Kri­tik ist das „Roll­wider­stands-Label“: Experten war­nen vor ein­seit­ig auf niedri­gen Ver­brauch hin aus­gelegten Reifenkon­struk­tio­nen, die vor allem beim Brem­sen auf nass­er Straße deut­lich schlechter wären als heutige Reifen. Die Brem­sleis­tun­gen, so die Fach­leute, soll­ten gle­ichzeit­ig mit in die Berteilung ein­fließen und ein entsprechen­des Label auch diese ausweisen. Auch der ADAC fürchtet niedrigere Schwellen bei der Reifen­sicher­heit und mah­nt, nicht auss­chließlich auf den Roll­wider­stand zu schauen, son­dern eine Gesamt­beurteilung anzus­treben. Woran liegt das Prob­lem? Dr. Burkhard Wies, Leit­er der Pkw-Reife­nen­twick­lung Ersatzgeschäft von Con­ti­nen­tal, gibt Auskun­ft.
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Frage: Herr Dr. Wies, warum rat­en Sie vom alleini­gen Roll­wider­stands-Label auf Reifen ab?

Dr. Wies: Einen Reifen allein auf niedri­gen Roll­wider­stand zu trim­men, ist selb­st für die preiswertesten und ein­fach­sten Her­steller heute kein großes tech­nol­o­gis­ches Prob­lem mehr. Die Frage ist eher, wie die weit­eren sicher­heit­srel­e­van­ten Eigen­schaften wie beispiel­sweise Nass­brem­sen, erre­icht wer­den. Ein Reifen ist immer ein Kom­pro­miss: Wenn ein niedriger Roll­wider­stand erre­icht wer­den soll, sinken beispiel­sweise bei ein­fachen Pro­duk­ten die Brem­swerte auf nass­er Fahrbahn. Solche Entwick­lun­gen kön­nen wir nicht akzep­tieren, da zwangsläu­fig mehr Unfälle geschehen wür­den. Der aktuelle Win­ter­reifen­test des ADAC belegt, dass selb­st ein Qual­ität­spro­dukt, das auf sehr niedri­gen Roll­wider­stand und hohe Lau­fleis­tung getrimmt ist, im Ver­gle­ich zu einem Reifen mit sehr guten All­roundeigen­schaften wie beispiel­sweise einem Con­ti­Win­ter­Con­tact beim Nass­brem­sen um zehn Prozent schlechter war. Ähn­liche Ergeb­nisse haben beispiel­sweise die Redak­tio­nen von auto motor und sport, die Auto­Bild und die Stiftung War­entest einge­fahren. Ihre Test­pa­ra­me­ter sind darauf aus­gelegt, Sicher­heit und Umweltaspek­te aus­ge­wogen zu beurteilen. Damit sind sie beispiel­haft, da sie die Sicher­heit der Verkehrsteil­nehmer nicht außer Acht lassen.

Frage: Wie groß sind die Unter­schiede?

Dr. Wies: Wir reden hier schon von acht Metern aus ein­er Geschwindigkeit von 100 km/h. Dabei hat der Wagen mit dem schlechter brem­senden, weil ein­seit­ig aus­gelegten Reifen immer noch eine Rest­geschwindigkeit von 35 km/h! Das ist nicht akzept­abel. Ein guter Reifen muss niedri­gen Roll­wider­stand und gle­ichzeit­ig gute Brem­seigen­schaften mit­brin­gen. Alles andere ist ein deut­lich­er Rückschritt bei der Verkehrssicher­heit, unter der nicht nur Aut­o­fahrer, son­dern auch spie­lende Kinder, Fußgänger und Rad­fahrer zu lei­den hät­ten. Mit der Euro­pean Road Safe­ty Char­ter hat sich die EU verpflichtet, die Zahl der Verkehrstoten bis zum Jahr 2010 auf 25.000 zu hal­bieren – das sollte das über­ge­ord­nete Leit­mo­tiv sein.

Frage: Wenn die EU Umweltaspek­te berück­sichti­gen will, was schla­gen Sie dann vor?

Dr. Wies: Nie­mand in der Reifenin­dus­trie mit Ver­ant­wor­tungs­ge­fühl wird gegen den Umweltaspekt des Forderungskat­a­loges argu­men­tieren. Gle­ichzeit­ig – und das ist eine sehr drin­gende Empfehlung — muss eine stren­gere, aus­sage­fähige Kennze­ich­nung einge­führt wer­den, die auch den Nass­griff klas­si­fiziert. Aktuell wird mit der Regelung ECE 117 ein Brem­sweg auf nass­er Fahrbahn gefordert, der nur ein­er Min­destanforderung entspricht. Eine neue, wirk­lich aus­sage­fähige Kennze­ich­nung hätte den Vorteil, dass der Aut­o­fahrer wirk­lich die Wahl hat. Gle­ichzeit­ig würde sie davor war­nen, Reifen mit schlecht­en Fahreigen­schaften zu mon­tieren. Eine solche Kennze­ich­nung wäre das Min­deste, das wir uns in punk­to Ver­braucher­aufk­lärung wün­schen. Diese Empfehlung geben beispiel­sweise auch der ADAC und die ETRMA als Dachver­band der europäis­chen Reifen­her­steller. Eine Kennze­ich­nung wie beispiel­sweise bei Kühlschränken spiegelt die Kom­plex­ität von Reifen als High­tech-Pro­duk­te in kein­er Weise wider.

Frage: Gle­ichzeit­ig möchte die EU die Gren­zw­erte für die Geräusch­ab­strahlung deut­lich senken. Was sagen Sie dazu?

Dr. Wies: Hier gibt es einen ähn­lichen Kon­flikt zu sicher­heit­srel­e­van­ten Fahreigen­schaften. Wenn die Geräusch­ab­strahlung der Reifen weit­er gesenkt wer­den soll, wer­den zwangsläu­fig die Fahreigen­schaften auf nass­er Straße zurück­ge­hen. Je weniger Pro­fil ein Reifen hat, desto leis­er ist er. Spitzen­re­it­er wäre ein Slick, wie man ihn in der Formel 1 ver­wen­det. Für ein nor­males all­t­agstauglich­es Auto ist das natür­lich keine Option. Ein solch­er Reifen hat extrem schlechte Brem­swerte auf nass­er Straße, seine Aqua­planingeigen­schaften wären abso­lut inakzept­abel.

Frage: Welche Möglichkeit­en gibt es denn son­st, die Geräusch­ab­strahlung im Straßen­verkehr zu ver­ringern?

Dr. Wies: Der Geset­zge­ber ver­gisst gerne, dass es sich um ein Reifen- und Fahrbah­ngeräusch han­delt. Daher wird teil­weise am Prob­lem vor­bei geregelt. Reifen sind vor allem in der Stadt nicht ursäch­lich für Fahrbah­ngeräusche. Im Stadtverkehr sind es Motorengeräusche beim Anfahren, Brems­geräusche und andere Quellen wie Kanaldeck­el oder Straßen­markierun­gen. Hier kann man mit etwas Dämp­fung an diesen Stellen auf oder in der Straße eine Menge verbessern ohne an den Reifen zu gehen. Anders sieht es im Bere­ich zwis­chen rund 60 und 100 km/h aus. Hier strahlen die Reifen ab. Über 100 km/h dominieren dann die Windgeräusche der Karosse das Klang­bild.

Wir reden also über einen ver­hält­nis­mäßig kleinen Bere­ich, wenn wir von der Abstrahlung der Reifen sprechen. Und wir sind ganz sich­er, dass ger­ade die europäis­che Reifenin­dus­trie ohne­hin sehr leise Reifen auf hohem Niveau hat. Wären alle Reifen – auch die preiswerten Importe – bei ihrer Geräusch­ab­strahlung auf dem Lev­el der Qual­ität­sher­steller, wäre schon viel erre­icht. Ganz vom Reifen allein zu sprechen greift auch hier zu kurz, da auch die Fahrbahn für einen guten Teil der Geräuschur­sachen ver­ant­wortlich ist. Mit neuen Fahrbahnkonzepten ließe sich die Geräuschen­twick­lung um rund 10 Dez­i­bel reduzieren – ohne dass sicher­heit­srel­e­vante Eigen­schaften der Reifen betrof­fen wären.

Frage: Welche Lösung schla­gen Sie hier vor?

Dr. Wies: Wir empfehlen drin­gend, im Inter­esse der Verkehrssicher­heit andere Lösungsmöglichkeit­en als auss­chließlich bei den Reifen zu suchen und zu regle­men­tieren. Die EU hat sich auf ihre Agen­da geschrieben, die Zahl der Verkehrstoten kün­ftig zu hal­bieren – mit den hier angedacht­en Maß­nah­men ist das unre­al­is­tisch. Selb­st der Ver­weis auf die immer höhere Ausstat­tungsrate mit Fahreras­sis­ten­zsys­te­men führt nicht weit­er, da diese Sys­teme zwangsläu­fig auf möglichst hohe Leis­tungs­fähigkeit der Reifen angewiesen sind. Der Reifen ist die einzige Kon­tak­t­fläche zwis­chen Fahrzeug und Straße – hier gut gemeinte, aber unre­al­is­tis­che Regle­men­tierun­gen einzuführen, wäre ein deut­lich­er Rückschritt bei der Verkehrssicher­heit.

Frage: Welche Wege schla­gen Sie vor? Schließlich ist das Prob­lem „Umwelt und Sicher­heit“ allen Bürg­ern bewusst.

Dr. Wies: In den USA soll ab 2010 jed­er Neuwa­gen ein ESP als Stan­dar­d­ausstat­tung haben. Für Europa wäre das auch sin­nvoll, da das Fahrsta­bil­itäts-Pro­gramm die Unfal­lur­sachen reduzieren würde. Schneller und auch bei älteren Fahrzeu­gen nachrüst­bar sind Reifendruck­kon­troll­sys­teme. Der Aut­o­fahrer wäre bei der Unter­schre­itung des richti­gen Luft­drucks gewarnt, so dass immer der opti­male Luft­druck im Reifen wäre. So ließen sich Mil­lio­nen Ton­nen CO2 schnell und mit geringem Aufwand eins­paren. Gle­ichzeit­ig würde Unfällen durch Reifen­platzer in den meis­ten Fällen vorge­beugt – ein guter Beitrag zur Euro­pean Road Safe­ty Char­ta, die sich ja die Hal­bierung der Verkehrstoten zum Ziel geset­zt hat. In der EU ist der Geset­zgeben allerd­ings schon soweit aktiv, dass Reifendruck­kon­troll­sys­teme bis 2009 in Neuwa­gen vorgeschrieben wer­den – was wir als sin­nvollen Beitrag zum Umweltschutz und zur Verkehrssicher­heit sehr begrüßen.