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Jetzt werden Reifen von Apollo Tyres aus Holland anstatt aus Ungarn kommen

Die Nachricht­e­na­gen­tur MTI schrieb von „Parteienkrieg“. Gemünzt war der Aus­druck auf den Machtkampf zwis­chen sozial­is­tis­ch­er Mehrheit und Oppo­si­tion in der nor­dos­tun­garischen Stadt Gyöngyös. All­t­ag also? Dies­mal ging es um eine Großin­vesti­tion des indis­chen Reifenkonz­erns Apol­lo Tyres.

Ungarn habe im Wet­tbe­werb mit der Slowakei den Zuschlag für ein 200 Mio. Euro teures Werk erhal­ten, das im Endaus­bau 1500 Men­schen beschäfti­gen werde, verkün­dete der ungarische Min­is­ter­präsi­dent Fer­enc Gyurcsány im Jan­u­ar 2008. Er bemühte das Bild vom „Reifen­land“: Nach dem franzö­sis­chen Konz­ern Miche­lin, der den ungarischen Her­steller Tau­rus gekauft hat­te, Bridge­stone aus Japan und dem süd­ko­re­anis­chen Riesen Han­kook sei Apol­lo Tyres der vierte große Reifen­her­steller, der eine Fab­rik in Ungarn errichte. Und das in ein­er Gegend, in der die Arbeit­slosigkeit 20 bis 25 Prozent betrage. In Gyöngyös wür­den ab 2010 jährlich sieben Mil­lio­nen Reifen für den EU-Markt und die USA pro­duziert wer­den.

Der Kon­junk­tiv des Pre­miers, inzwis­chen selb­st Ver­gan­gen­heit, erwies sich als Real­itätssinn. Während näm­lich Han­kook wegen Staats­bei­hil­fen, ange­blich­er Umweltver­fehlun­gen und Kon­flik­te mit der Belegschaft Tages­ge­spräch war, wurde Apol­lo Tyres vom Wider­stand über­rascht. Die oppo­si­tionelle Fidesz-Frak­tion in der Selb­stver­wal­tung von Gyöngyös ini­ti­ierte eine Volksab­stim­mung. Die Gegend am Fuße des Mátra-Hügel­lan­des ver­trage keine weit­ere Umwelt­be­las­tung, hieß es.

Noch bevor die sozial­is­tis­che Mehrheit den Fidesz-Vertretern alle Selb­stver­wal­tungs­funk­tio­nen ent­zog – siehe „Parteienkrieg“ –, hat­ten die Inder schon verzichtet: Man wolle nie­man­den mit ein­er Fab­rik beglück­en, teil­ten sie Mitte August mit. Da halfen wed­er gut organ­isierte Demon­stra­tio­nen zugun­sten des Werkes noch Canos­sagänge städtis­ch­er Abor­d­nun­gen. Und auch nicht die Mit­teilung der ungarischen Entwick­lungs­ge­sellschaft ITDH, 40 ungarische Gemein­den wären begeis­tert, die Fab­rik zu beherber­gen. Alles vergebens – Apol­lo Tyres zog sich zu ein­er „Neube­w­er­tung der Ansied­lung in Europa“ zurück.

Nach neun Monat­en ist jet­zt sich­er, dass Ungarn kein indis­ches Werk beherber­gen wird: Apol­lo Tyres habe das nieder­ländis­che Unternehmen Vre­destein Ban­den BV zu hun­dert Prozent über­nom­men, berichtete Apol­lo-Finanzchef Sunam Sarkar der Finanz­nachricht­e­na­gen­tur Dow Jones. Laut „Wall Street Jour­nal“ pro­duziert das Werk mit etwa 1500 Mitar­beit­ern jährlich 5,5 Mil­lio­nen Reifen – Zahlen, die sich fast mit den Plä­nen für das Ungarn-Werk deck­en.