Wenn es zu einem Autounfall kommt, müsste laut Gesetz eigentlich jeder helfen, doch bei vielen Menschen ist die Hemmschwelle nach wie vor hoch. Nicht so bei Jörg Ballsieper. Der Lkw-Fahrer half bereits zwei Mal nach Unfällen, während viele nur zuschauten. Zu letzt am 5. Juli 2010, als er auf der A3 einem Berufskollegen aus Dänemark Erste Hilfe leistet.
Der Fahrer war in einem Stau mit hohem Tempo auf Ballsiepers Sattelauflieger gekracht. Obwohl der 41-Jährige Ballsieper selbst leicht verletzt wurde, eilte er dem eingeklemmten Lkw-Fahrer aus Dänemark zu Hilfe und fixierte dessen offenen Schädelbruch mit Handtüchern. Als Anerkennung für seinen Einsatz haben Goodyear und der Automobilclub von Deutschland (AvD) Jörg Ballsieper nun zum "Highway Hero" des Monats August gekürt. Im Rahmen der Verkehrssicherheitsaktion werden das ganze Jahr über Menschen ausgezeichnet, die besonnen, mutig und selbstlos andere Verkehrsteilnehmer vor Schaden bewahrt und so für mehr Sicherheit im Straßenverkehr gesorgt haben.
Am Abend des 5. Juli 2010 kommt es unweit der Gemeinde Kirchroth auf der A3 Richtung Passau zu einem schweren Lkw-Unfall. Daraufhin bildet sich ein mehrere Kilometer langer Rückstau, der bis zur Anschlussstelle Rosenhof zurück reicht. Gegen 19.05 Uhr gerät auch Jörg Ballsieper mit seinem Lkw in den Stau.
Kaum hat er angehalten, sieht er im Rückspiegel einen Lkw, der scheinbar ohne zu bremsen direkt auf ihn zuschießt. Er hat gerade noch Zeit, sich am Lenkrad festzuhalten, als es auch schon gewaltig kracht und der einstöckige Autotransporter mit ca. 80 km/h in seinen Wechselbrücken-Anhänger auffährt.
Dann schiebt sich der Lkw des dänischen Fahrers links an Ballsiepers Fahrzeug vorbei und schlägt auf 250 Meter eine Schneise der Verwüstung in die stehende Fahrzeugkolonne – er einen Pkw, ein Wohnwagengespann und einen Sattelzug.
Die Insassen dieser Fahrzeuge werden zum Glück alle nur leicht verletzt.
Ballsieper indes, der selbst leicht verwundet ist, zögert keine Sekunde. Er rennt auf ein völlig zerstörtes Wohnmobil zu, doch es ist leer. Wie sich später herausstellt, gehörte das Fahrzeug zur Ladung des dänischen Autotransporters und wurde bei der Kollision herunter geschleudert. "Von dem Unfallfahrzeug war ebenfalls nicht mehr viel da", erinnert sich der Ersthelfer. Doch der Motor läuft noch und brennbare Flüssigkeiten aus dem Wrack tropfen, zieht Ballsieper als erstes den Zündschlüssel. Einen Brand will er unbedingt vermeiden, denn der 65jährige Fahrer des Unfall-Lkw ist eingeklemmt und kann ohne schweres Gerät nicht befreit werden. Selbst ohne Feuer ist Eile geboten, denn der Däne weist eine offene Schädelfraktur auf und blutet sehr stark. Ballsieper ist zu diesem Zeitpunkt noch völlig auf sich gestellt, da ihm keiner helfen will.
Geistesgegenwärtig knotet der Wolfsburger einige Handtücher zusammen, die er im Fahrerhaus findet. Es gelingt ihm, die starke Blutung zu stoppen und den Kopf des Verletzten notdürftig zu stabilisieren. Erst jetzt fühlt Ballsieper, der durch den Unfall körperlich selbst mitgenommen ist, die Erschöpfung und bricht zusammen.
Im Krankenhaus stellt sich heraus, dass er außer Prellungen, Blutergüssen und einem Schleudertrauma keine weiteren Verletzungen erlitt. Der dänische Fahrer des Unfall-Lkw wurde ebenfalls ins Krankenhaus gebracht, wo er bis zu seiner Genesung versorgt wurde.
Der Vorfall auf der A3 war jedoch nicht die erste mutige Aktion von Jörg Ballsieper. Schon im März 2009 kam er einer verunfallten Autofahrerin zu Hilfe.
"Für mich ist es selbstverständlich. Wenn ich sehe, dass jemand Hilfe benötigt, dann helfe ich", so der Trucker. Er war damals mit seinem Lkw bei spiegelglatter Fahrbahn auf der A39 nach Wolfsburg unterwegs. Plötzlich geriet ein vor ihm fahrender Pkw außer Kontrolle, schleuderte in Richtung Grünstreifen und blieb auf dem Dach liegen. Ballsieper sicherte die Unfallstelle mit seinem Lkw ab und kümmerte sich um die Insassin. Nur unter Aufbietung aller Kräfte gelang es ihm, die Tür zu öffnen und die Fahrerin zu befreien.
Ballsieper hofft, dass sein Beispiel Schule macht. Denn er hat bei beiden Unfällen erlebt, wie Verkehrsteilnehmer einfach wegschauen oder als Schaulustige sogar die Rettungsarbeiten behindern. "Es sind bestimmt hundert Autos in der Zeit vorbeigerast, kein Fahrer hielt an", erinnert er sich an den Unfall 2009. "Vielleicht haben einige auch einfach Angst, dem Opfer durch falsche Rettungsmaßnahmen zu schaden und fürchten eventuelle rechtliche Konsequenzen", vermutet er. Dabei ist genau das Gegenteil richtig: bei einem Unfall gibt es keine falsche Hilfe.