Das Oberlandesgericht Oldenburg hat die Winterreifenpflicht für unwirksam erklärt. Der Grund: Die gesetzliche Regelung sei nicht verständlich formuliert. TÜV SÜD-Experten betonen allerdings: Ungeachtet der Gesetzeslage bedeuten Winterreifen ein klares Sicherheitsplus in der kalten Jahreszeit.
Wer sich jetzt die neuen Reifen zulegt, sollte jedoch einiges beachten. Einsatz, Fahrgewohnheiten und Umweltaspekte spielen beim Kauf entscheidende Rollen. TÜV SÜD gibt einen Überblick über neue Entwicklungen und führt durch den Dschungel an speziellen Bezeichnungen für Winterreifen.
Der Grund liegt im Gummi: Das Gerichtsurteil (OLG Oldenburg, Az. 2 SsRs 220/09) gibt den Winterreifen-Muffeln Aufwind. Dabei hatten die Oldenburger Richter bei ihrem Spruch im Hochsommer vor allem eines im Sinn: Den Gesetzgeber zu einer eindeutigeren Formulierung des Gesetzes (§ 2 Abs. 3a StVO) zur "Winterreifenpflicht" zu bewegen. Denn klar ist: Winterreifen bedeuten in der kalten Jahreszeit ein unverzichtbares Sicherheitsplus. Der Grip von Sommerreifen lässt mit sinkenden Temperaturen spürbar nach. Der Grund: Bereits bei Temperaturen im einstelligen Plus-Bereich beginnen die Gummimischungen von Sommerreifen zu verhärten. Winterreifen haben in der Regel weichere Gummimischungen mit einem hohen Silica- oder Naturkautschuk-Anteil, die sich besser der Fahrbahnoberfläche anpassen. Und gerade auf Schnee zeigen die Winterreifen ihre besondere Stärke. "Mit Sommerreifen kann sich der Bremsweg gerade auf schneeglatter Fahrbahn durchaus mehr als verdoppeln", erläutert Michael Staude, Reifenexperte bei TÜV SÜD Automotive. "Die Benutzung von Winterreifen bleibt ungeachtet der unklaren Gesetzeslage unbedingt empfehlenswert", so Staude.
Die Gewohnheiten entscheiden: Vor dem Kauf sollten Autofahrer sich darüber im Klaren sein, wie sie den Wagen im Winter nutzen. Fährt man beispielsweise jedes Wochenende in die Berge zum Skifahren, stehen die Eigenschaften auf Eis und Schnee an vorderster Stelle. Ist man als Berufspendler viel auf Autobahnen unterwegs, dann sind Langlebigkeit und Nässeeigenschaften wichtiger. Hat man den Winterfahrtyp ermittelt, bieten die Ergebnisse der Winterreifentests einen guten Überblick.
Die Kennzeichnung zählt: Die älteste und gebräuchlichste Kennzeichnung für Wintereigenschaften ist M & S oder M+S. Beides steht für "Mud and snow", Matsch und Schnee. Leider gibt es keine nennenswerten, verbindlichen Anforderungen an die Wintertauglichkeit für derart markierte Reifen. So werden beispielsweise in den USA auch nahezu reine Sommerreifen mit dem Aufdruck M&S verkauft. Bei so genannten Geländereifen und jenen für SUV hat sich dies auch in Europa eingebürgert. Solche Reifen haben nach Erkenntnissen von TÜV SÜD nur eine sehr eingeschränkte Wintertauglichkeit. Aus der Unzulänglichkeit der M&S-Kennzeichnung, haben die Amerikaner gelernt und das Schneeflockensymbol eingeführt. Es zeigt eine Schneeflocke in einem stilisierten Bergmassiv und garantiert bestimmte Wintereigenschaften. Die Produkte renommierter europäischer Reifenhersteller übertreffen selbst diese Anforderungen deutlich und tragen das Zeichen deshalb mit Recht. "Die Schneeflocke auf Markenreifen ist eine gute Richtschnur beim Kauf", sagt Staude.
Ganzjahresreifen? Ja, aber . . . : Die Idee ist verlockend – ein Reifen für das ganze Jahr. Ein solches Modell ist aber zwangsläufig nur ein Kompromiss. Nach Ansicht von TÜV SÜD ist es allenfalls für Flachlandverkehr und für schneeärmere Regionen ohne bedeutende Steigungen geeignet. Auch wirtschaftlich sind Ganzjahresmodelle nicht die beste Wahl, da sie oftmals schneller verschleißen und einen höheren Rollwiderstand haben als eine der Saison angepasste Wechselbereifung. Ganzjahresreifen sind aber mit M&S markiert und erfüllen rein rechtlich die derzeitigen Anforderungen an eine "geeignete Bereifung".
Mit Sommerreifen ins Abseits schlittern: An Stammtischen und in Internetforen wird mitunter die Meinung vertreten, bei bestimmten winterlichen Straßenzuständen seien Sommerreifen die bessere Wahl. Besonders oft wird dann Eis genannt. "Das ist gefährlicher Unsinn", meint Staude "Auch die Bremswege auf Eis sind gegenüber guten Winterreifen deutlich länger, bei schneebedeckter Fahrbahn sowieso. Zudem ist das Fahrverhalten kritischer und wenig vorhersehbar."
An die Umwelt denken: CO2-Einsparung – bei Winterreifen kein Thema? Steht guter Grip auf Eis und Schnee dem Energiesparen von Natur aus entgegen? "Nein", sagt Staude. "Seit Jahren achten die Hersteller auch bei der Entwicklung von Winterreifen auf gute Fahreigenschaften und geringen Rollwiderstand." Das zeigen auch die Testergebnisse: In Sachen Rollwiderstand müssen Winterpneus den Vergleichstest mit den Sommerkollegen nicht scheuen. Damit diese Eigenschaften weiter verbessert werden, gelten ab November 2012 stufenweise straffere Grenzwerte für die Reifenproduktion. Dazu wird es ein Siegel geben, das die Eigenschaften auf einen Blick deutlich macht. Die Parameter: Nässe-Grip, Verbrauch und Rollwiderstand sowie Geräuschentwicklung. "Den Verkäufer also auch auf die Umweltverträglichkeit ansprechen", so Staude. Die Energieeffizienz hat keine Auswirkung auf die Sicherheit: "Die Produkte der bekannten großen Reifenhersteller stellen durchweg einen guten Kompromiss zwischen Kriterien wie Schnee-Grip, Lebensdauer, Nässe- und Trockeneigenschaften aber eben auch Rollwiderstand dar", so der TÜV SÜD-Experte.
Keine Sorge um höheren Verbrauch: Ein hartnäckiges Vorurteil gegenüber Winterreifen ist der angeblich höhere Sprit-Verbrauch. "Das Auto verbraucht im Winter wegen der Kälte mehr, nicht wegen der Reifen", sagt Staude dazu. Generell ist bei Markenreifen so gut wie kein Unterschied mehr beim Rollwiderstand vorhanden. Inzwischen gibt es sogar speziell auf niedrigen Verbrauch optimierte Winterreifen. Aufschriften wie "Green X" oder "Saves Fuel" deuten dies an.
Auf die Größe achten: Fans großer und breiter Räder können auch im Winter auf breiten Schlappen fahren. Das Sortiment der Hersteller lässt das zu. Staude empfiehlt jedoch Maßhalten. Eine etwas kleinere Dimension ist im Winter in aller Regel die bessere Wahl. Wer sein Auto notfalls mit Schneeketten fahren will, muss ohnehin auf die ganz großen Gummis verzichten – sonst kann die Kette im Radkasten anschlagen. Hinweise dazu stehen meist in der Betriebsanleitung des Wagens.
Auf Profil setzen: Auch wenn die gesetzliche Mindesttiefe des Profils genauso wie bei Sommerreifen bei 1,6 Millimetern liegt: Nach Ansicht von Experten wie Reifenherstellern, sollte die Profiltiefe bei Winterreifen vier Millimeter nicht unterschreiten. Das liegt nicht zuletzt an der Bauweise von Winterpneus, bei der – noch stärker als bei Sommerreifen – für Lauffläche und Unterbau andere Gummimischungen verwendet werden. Bei der Vulkanisierung vermischen sich die unterschiedlichen Zusammensetzungen im Grenzbereich. Die Folge: Ist der Reifen stark abgefahren, kommt das Profil in diesen Grenzbereich der Durchmischung und hat nicht mehr die gewünschte Konsistenz und damit nicht mehr die gewünschten Eigenschaften. Die Performance verschlechtert sich zudem, weil Winterreifen hauptsächlich aus Lamellen bestehen. "Je kürzer die Lamellen werden, desto weniger flexibel sind sie – mit schlechten Auswirkungen auf den Grip", erläutert der Reifenfachmann. Wer in bestimmte Länder reist, muss im Winter ohnehin mehr Profil zeigen. Österreich verlangt vier, Schweden drei Millimeter.
Beim Tempo maßhalten: Längst vorbei sind die Zeiten, in denen mit Winterbereifung bei 160 Stundenkilometern Schluss war. Üblich sind heute Freigaben bis 190 oder 210 km/h. Es gibt sogar Winterreifen, die für 240 oder gar 270 Sachen zugelassen sind. Bei letzteren muss allerdings mit Einschränkungen bei den reinen Wintereigenschaften gerechnet werden. Wichtig: Liegt die Angabe zur Höchstgeschwindigkeit der Reifen unter der des Autos, muss ein Aufkleber im Cockpit darauf hinweisen – sonst droht ein Bußgeld.
Den Druck erhöhen: Der Fülldruck hat großen Einfluss auf den Verbrauch. Schon wenige Zehntel Bar verminderter Druck, erhöhen den Rollwiderstand um bis zu 20 Prozent – und verringern die Sicherheit immens. Jährlich verschenken die EU-Bürger mehr als zwei Milliarden Euro, weil sie zu wenig Luft in ihren Reifen haben! "0,2 bis 0,3 Bar über der Empfehlung des Fahrzeugherstellers schaden nicht", empfiehlt Staude. Geht man aber mit den Winterreifen an die Belastungsgrenze – zum Beispiel im Gebirge – dann lieber genau den vorgeschriebenen Luftdruck einhalten. Staude: "Dann entfaltet der Reifen seine besten Eigenschaften."
Stressfrei Wechseln: Wer nicht wochenlang auf die Winterreifen warten möchte und nicht auf lange Warteschlangen beim Reifenwechsel steht, sollte sich bereits jetzt um die passende Winterbesohlung kümmern. Das insbesondere auch vor dem Hintergrund, weil Branchenkenner und Reifenhändler für die bevorstehende kalte Jahreszeit mit Engpässen bei der Versorgung mit Winterreifen rechnen.